Sempervivum - unverwüstliche Hauswurz

Von Martin Haberer, Nürtingen

 

Haben Sie besonders sonnige und trockene Stellen im Garten, wo es keine Pflanze aushält? Dann versuchen Sie es einmal mit den Rosetten der Dach-, Haus- oder Donnerwurz, wissen-schaftlich Sempervivum genannt. Das bedeutet nichts anderes als „immer lebend“!

Und das kann man fast wörtlich nehmen. Besonders nach dem langen, heißen Sommer 2003 sind viele Gehölze, aber auch Stauden vertrocknet, wenn man sie nicht immer wieder mit Wasser versorgt hat. Nicht so die Hauswurze. Sie haben ohne Mühe diese ungewöhnliche Witterung ertragen und dazu noch herrlich geblüht.

 

Sempervivum calcareum

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Sempervivum ciliosum

Es gibt also kaum eine winterharte Gartenpflanze, die so unempfindlich gegen Hitze, Trockenheit und auch Kälte ist. Dazu begnügt sie sich mit einem Minimum an Boden und Nährstoffen. Sie schmiegt sich in kleinste Löcher und Felsritzen und fühlt sich dort auch noch sehr wohl.

Die Botaniker zählen die Hauswurz zu den Dickblattgewächsen (Crassulaceae), dazu zählen auch die ebenfalls genügsamen und winterharten Fetthennen-Arten (Sedum).

In der Natur kommt Sempervivum in rund 30 Arten in den Bergen Europas vor, vorwiegend in den Alpen, aber auch den Pyrenäen und im Kaukasus. Da sich die Arten schon in der Natur leicht kreuzen, kennt man inzwischen eine Anzahl von Naturhybriden. Da der Mensch nie zufrieden ist, hat er diese Eigenschaft benutzt und weiter gekreuzt, bis eine fast unübersehbare Vielzahl von Formen entstand. Diese Gartenformen werden als Cultivare oder Sorten bezeichnet.

 

Historisches

Schon im 9. Jahrhundert n. Chr. verordnete Kaiser Karl der Große, dass man Hauswurz auf die Dächer zu pflanzen habe, damit man vor dem Blitz geschützt sei.

In der Volksmedizin behandelte man Brandwunden und Insektenstiche, ja sogar auch Zahnschmerzen mit dem Saft der gequetschten Hauswurzblätter. Probieren Sie selbst einmal diese schmerzlindernde und kühlende Wirkung aus!

 

Vegetative Vermehrung

Normalerweise vermehren sich die Hauswurzarten von ganz alleine. Jede Rosette bringt im Laufe des Sommers an kürzeren oder längeren Stolonen zahlreiche Tochterrosetten hervor, die das Polster vergrößern. Trennt man nun eine junge Rosette ab und pflanzt sie in ein Töpfchen, so hat man nach wenigen Monaten eine Pflanze, die alle Eigenschaften der Mutterpflanze aufweist.

 

Sempervivum marmoreum tataricum vermehrt sich vegetativ über längere Ausläufer.

Die meisten Sempervivumarten machen also Ausläufer, bei Sempervivum globiferum (syn. Jovibarba globifera) sind diese dünn und fadenartig, bei den anderen Semperviven kräftiger. Eine Besonderweit weist Sempervivum heuffelii (syn. Jovibarba heuffelii) auf, die Rosette teilt sich selbst quirlartig und bildet nach vielen Jahren zwei oder mehr neue Rosetten.

 

Generative Vermehrung

Die Hauptblütezeit der Hauswurze liegt im Sommer, je nach Art und Sorte zwischen Juni und August. Ab Mai beginnen sich einzelne Rosetten in die Höhe zu schieben, die Mittelachse verlängert sich und kann bis zu 40 cm lang werden. Am oberen Ende öffnen sich dann die meist rosafarbenen Blütensterne in einer gabelästigen Trugdolde. Im Laufe der zwei- bis dreiwöchigen Blütezeit verlängern sich die Triebe. Auch Arten mit gelben, weißen und roten Blüten sind bekannt, alle weisen 8-18 Blütenblätter auf. Lediglich die Arten der Sektion Jovibarba tanzen aus der Reihe. Ihre Blüten sind röhrenförmig, gelb oder weiß, sie besitzen lediglich 5-7 Blütenblätter.

Viele Insekten sind als Bestäuber bekannt. Fliegen, Wespen, vor allem aber viele Wildbienen und Hummeln werden angelockt, auch Schmetterlinge sind gelegentlich zu sehen.

Nach der Samenreife hat die Mutterrosette ihre Aufgabe erfüllt, sie vertrocknet und stirbt ab. Wenn sie allerdings bis dahin keine Ausläufer gebildet hat, ist diese Pflanze verloren. Immer wieder kommt es vor, dass man auf diese Weise Neuheiten ganz verliert. Man sollte daher beim Kauf darauf achten, dass einige nichtblühende Rosetten im Topf vorhanden sind. Ganz Schlaue erwerben sogar mehrere Exemplare der gleichen Sorte.

 

Sempervivum heuffelii 'Cydonia'

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Sempervivum 'Corona MH'

Da die Insekten von Blüte zu Blüte fliegen und dabei den Pollen der einen auf die Narbe der anderen Blüten übertragen, entstehen dabei immer wieder zufällige Genkombinationen. Wer den Samen einer Pflanze erntet, weiß immerhin den Namen der Mutterpflanze, doch die Zahl der Väter ist bei einer großen Sammlung immens.

Ernsthafte Züchter möchten allerdings ganz bestimmte Eigenschaften erzielen. Sie sammeln daher den Pollen der ausgewählten Vaterpflanze und bringen diesen mit einem feinen Pinselchen auf die reifen Narben der Mutterpflanze. Dann wird die Mutterpflanze wieder mit feiner Gaze umhüllt und den Insekten der weitere Zutritt verwehrt.

Neue Formen kann man also nur durch Aussaat erzielen. Die Samen sind allerdings so fein, dass man die Saatschale nicht wie üblich mit einer dünnen Erdschicht abdeckten muss.

Im Zimmer keimen die Samen bei genügend Wärme und Feuchtigkeit innerhalb einer Woche, doch bei zu hohen Wassergaben können die empfindlichen Keimlinge rasch faulen.

Besser ist die Aussaat in Töpfen, die man in einen kalten Kasten setzt. Als Pflanzen der Berge kann man die Pflanzen als Kaltkeimer einordnen. Man sät also im Januar/Februar aus und lässt die Töpfe einschneien. Im Frühjahr schwemmt der tauende Schnee die Hemmstoffe der Samen fort und die Keimung beginnt, wenn die Sonne kräftiger scheint.

Später werden die Keimlinge in ein sandiges Anzuchtsubstrat pikiert (vereinzelt), schließlich topft man die schönsten Formen in nährstoffreichere Erde. Oft ist der schönste Lohn dieser Bemühungen, wenn man eine Form erzielt, die noch keinem anderen gelungen ist.

 

Kultur

Wenn auch unsere Wurze sehr anspruchslos sind, ganz ohne Dünger geht es nicht. Dabei sind die Hybriden immer anspruchsvoller als die Arten, die man aus der Natur kennt. Als Pikiererde verwendet man eine käufliche Anzuchterde, die man mit Sand vermagert.

Der Topferde wird ebenfalls Sand und Splitt oder Eifellava in kleinen Körnungen zugesetzt. Einheitserde oder TKS, aber auch andere Substrate sowie unkrautfreie Komposterde eignen sich gut als Grundlage für eine erfolgreiche Kultur. Wenn man dazu noch etwas Langzeit-dünger in Form von Hornspänen beifügt, kann nichts  mehr schief gehen. Später kann man immer noch eine oder mehrere Nachdüngungen mit Flüssigdünger vornehmen, besonders, wenn man die Pflanzen in Töpfen zieht. Manche Gärtner kultivieren Hauswurze ganzjährig im Gewächshaus. Durch eine zusätzliche Düngung mit Stickstoff können einige Sorten dort auch 25 cm groß werden. Kommen diese Pflanzen dann in den Garten, überstehen sie harte Winter nur selten.

 

Nur ein kleiner Ausschnitt der Sempervivum- und Sempervivum-Hybriden-Sammlung des Autors.

Im Steingarten werden die notwendigen Nährstoffe aus dem Boden aufgenommen, die Pflanzen können viele Jahre am gleichen Platz bleiben. Im mageren Substrat bei extensiver Dachbegrünung ist zunächst das Wachstum sehr gut, der Höhepunkt ist nach 2-3 Jahren erreicht. Dann ist eine jährliche Nachdüngung mit Langzeitdüngern unbedingt erforderlich.

Normalerweise reichen die Niederschläge für die Wasserversorgung aus, bei der Sommerhitze im vergangenen Jahr 2003 waren aber auch die Wurze in Gefäßen für eine Wassergabe sehr dankbar.

 

Verwendung

Ideal für die Dachwurz sind sonnige Plätze im Steingarten, in Mauerritzen und Felsnischen.

Aber auch in Trögen und Schalen sowie im dauerhaft bepflanzten Balkonkasten fühlen sie sich wohl. Ebenso gut gedeihen sie auf flachgründigen Dachgärten oder sonnigen Böschungen.

Immer muss jedoch für ausreichende Dränage gesorgt werden, denn stauende Nässe vertragen sie nicht. Daher wird der Untergrund aufgelockert und mit Kies oder Feinschotter angereichert. Im Topf verwendet man Gesteinssplitt.

Ebenso vermeide man bei diesen Fettpflanzen, daß sie im Winter mit Streusalz in Berührung kommen. Die saftigen Rosetten werden dadurch vernichtet.

Doch sonst gibt es fast keine Standorte, die man mit diesen Hungerkünstlern nicht besiedeln kann.

 

Wichtige Arten und Formen

Es gibt Arten, die nur 0,5 cm klein sind, andere dagegen erreichen mit einer Rosettengröße von über 15 cm Durchmesser beachtliche Dimensionen.

Besonders attraktiv sind die weißbehaarten Rosetten der Spinnwebhauswurz (Sempervivum arachnoideum).  Die Rosettenblätter bilden hier auffällig lange Haare, welche an ein Spinnennetz erinnern und die Rosette zusätzlich vor Verdunstung schützen. Besonders schön weiß sind die Unterarten S. arachnoideum ssp. tomentosum und Sorten wie ´Clärchen´, ´Rheinkiesel´, ´Traudel´, ´Webbianum´ und ´Weißkugel´.

 

Sempervivum arachnoideum x barbulatum ssp. hookeri - eine besonders attraktive Hybride

Sempervivum x barbulatum ´Hookeri´ ist eine Naturhybride und hat besonders kleine, rötliche Rosettchen, ebenso S. arachnoideum ´Minor´. Alle blühen kräftig rot im Juni/Juli. Weiße Blüten haben dagegen Sempervivum arachnoideum ´Albion´ und ´Baby Boo´. Allerdings blühen diese oft so üppig, daß keine Kindel zur Nachzucht übrig bleiben.

Mit die größten Rosetten haben die Formen der eigentlichen Dachwurz (Sempervivum tectorum). Sie weisen alle rosafarbene Blüten und meist grüne Rosetten auf.

Sempervivum grandiflorum und Sempervivum wulfenii aus den Westalpen fallen durch ihre gelben Blüten auf, die Rosetten sind grün. Vom Balkan stammen die dicht bewimperten Rosetten der Sempervivum ciliosum, sie blühen reingelb im Juni.

Mehrfarbig sind die Rosetten der Seealpenhauswurz (Sempervivum calcareum). Ihre Spitzen sind meist braunrot, die Blätter ansonsten blaugrün. Nur selten kann man die hellrosa-farbenen Blüten bewundern.

Besonders attraktiv sind die mehrfarbigen, grünroten Rosetten von Sempervivum marmoreum vom Balkan.

Durch Einkreuzungen mit dieser Art sind viele unserer heutigen Sempervivum-Hybriden entstanden, die eine unglaubliche Farben- und Formenvielfalt aufweisen. Besonders schön sind die Sorten mit den roten Rosetten wie ´Fuego´, ´Max Frei´, ´Othello´, ´Polaris´, ´Red Delta´, ´Rubikon Improved´ und ´Teide´. Grüne Rosetten mit roten Spitzen findet man bei ´Sunset´, violette Rosetten bei ´Plum Rose´, graue dagegen bei ´Grey Ghost´.

Jährlich kommen neue Sorten hinzu.

 

Sempervivum -Hybride 'Othello'

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Sempervivum-Hybride 'Sunset'

Sempervivum globiferum (syn. Jovibarba globifera), Jupiterbart, fällt durch kugelige Rosetten und fadenförmige Stolonen auf, an welchen sich die Jungpflanzen entwickeln.

Bei der geringsten Berührung fallen diese ab und verbreiten sich. Sie bilden daher in kurzer Zeit dichte Polster. Die gelben, röhrenförmigen Blüten erscheinen im Juli.

Sempervivum heuffelii (syn. Jovibarba heuffelii), Jadesteinwurz, ist noch wenig bekannt. Sie stammt vom Balkan, ist meist blaugrün und hat ebenfalls Röhrenblüten (weiß oder seltener gelb). Sie bildet allerdings keine Ausläufer, sondern teilt sich im Laufe der Jahre. Dadurch dauert es lange, bis man einen größeren Tuff beisammen hat. In den letzten Jahren sind allerdings auch hier unglaublich viele Züchtungen entstanden, die viel farbenprächtiger als die Arten vom Naturstandort sind.

Besonders schöne Züchtungen sind ´Mystique´, ´Aiolos´ (beide hellbraunrot); ´Halo´, grün mit leuchtend roten Spitzen; ´Jade´, blaugrün; ´Bora´, dunkelbraunrot.

Die Sternwurz (Orostachys spinosus) aus der Mongolei hat sternförmige, graue Rosetten und bildet im Juli einen dichten Blütenstand mit hellgelben Röhrenblüten aus.

Sempervivum-Fachgruppe

Beginnen Sie zunächst mit einigen wenigen Formen, wenn Sie sich eine Sammlung anlegen wollen. Dabei kann es vorkommen, daß Sie identische Typen unter verschiedenen Namen erhalten. Meist sind sogar die Pflanzen namenlos. Lassen Sie sich aber dadurch nicht entmutigen. Gerade diese Probleme hat auch die „Gesellschaft der Staudenfreunde“ erkannt und vor einigen Jahren eine eigene Fachgruppe Sempervivum gebildet, die in den nächsten Jahren versuchen wird, diese Schwierigkeiten zu lösen.

Jedes Jahr (meist Anfang Mai) wird ein Treffen veranstaltet, meist im Garten eines Mitgliedes oder in der Nähe einer Landesgartenschau. Dieses Treffen bietet Führungen, Vorträge, aber auch die Möglichkeit, neue Sorten von anderen Mitgliedern zu erhalten.

Vierteljährlich erscheint die ´Semperpost´, eine Zeitschrift mit vielen Farbbildern, basierend auf privater Initiative. Aktuelle Informationen der Fachgruppe werden unter dem Namen ´Semperrunde´ veröffentlicht und vierteljährlich als E-Mail versandt.

 

Internet

Wer weitere Informationen erhalten möchte, der besuche doch folgende Webseiten:

www.sempervivum.info

www.semperhorst.de

www.martinhaberer.de

www.sempervivumgarten.de

 

Für den Liebhaber dieser anspruchslosen Rosettenpflanzen bedeutet der Beginn einer kleinen Sammlung das Eindringen in eine zauberhafte Welt der Formen und Farben. Wer einmal mit dem Sammeln begonnen hat, kann kaum mehr damit aufhören.